Eine gängige These lautet, dass Al Gore im Jahr 2000 gegen George W. Bush verloren hätte, weil Ralph Nader ihm wichtige Stimmen gekostet habe. Die Grünen hätten das linke gespalten und sich so zum Steigbügelhalter für die Republikaner gemacht. Die These ist naheliegend, aber irreführend, wie Klaus Linsenmeier, Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Washington aufschlüsselt:
Die Rechnung ist einfach: Bush hatte in Florida Gore mit ganzen 543 Stimmen geschlagen. Bei der Stimmauszähling kam es damals zu unzähligen Ungereimtheiten. Da der grüne Nader 97.000 Stimmen erhielt, so der Vorwurf, seien die Grünen am Wahlsieg Bushs Schuld. …So einleuchtend diese Arithmetik sein mag, so irreführend ist sie: Laut dem San Francisco Chronicle haben 12 Prozent der Demokraten republikanisch gewählt oder sind der Wahl ganz ferngeblieben. Wenn Al Gore nur ein Prozent dieser Wechsel- oder Nichtwählerinenn und -wähler für sich hätte gewinnen können, hätte er gewonnen. Die Demokraten sind also an ihrer mangelnden Mobilisierungsfähigkeit gescheitert, nicht an den Grünen.
Selbst (manche) Demokraten geben zu, dass es auch ohne Nader nicht gereicht hätte:
Al From, damals Mitglied des Democratic Leadership Councils kommentierte: „Der Vorwurf, dass Naders marginale Stimmen Gore verhindert hätten, wird von den Umfragen an den Urnen (exit polls) nicht bestätigt. Die Frage, wie sie gestimmt hätten, wenn nur zwei Parteien zur Wahl gestanden hätten, führte zu einem Sieg von Bush von einem ganzen Prozentpunkt. Das wäre ein besseres Ergebnis für Bush gewesen, als wenn Nader nicht angetreten wäre.“ Die Erklärung liegt darin, dass die sogenannten dritten Parteien zwar nur wenige Prozentpunkte erringen können, oft aber nicht unerheblichen Einfluss auf die politische Debatte ausüben.
Was heißt das für den 2012er Wahlkampf? Über Sieg und Niederlage entscheidet der Ausgang in den rund zehn swing states bzw. tossup-states. Die Kampagnen von Obama und Romney werden Millionen von Dollar in Bundesstaaten wie Ohio, Florida, Virginia usw. pumpen und an Hunderttausende Haustüren klopfen, um zu mobilisieren. Die US Green Party kann da nicht mithalten. Die Kampagne von Jill Stein konzentriert sich deshalb auf Staaten und TV-Werbemärkte, die erschwinglich und politisch naheliegend sind, wie z.B. der liberale Westküstenstaat Oregon.
Das Ziel der Grünen dürfte es sein, vor allem NichtwählerInnen zu mobilisieren. Nicht, weil sie Obama schützen wollen, sondern weil dies einfacher zu erreichen ist. Schließlich gibt es viele NichtwählerInnen. Sie machen die stärkste „Partei“ am Wahltag aus. Denn im November dürften jeweils 45-60 Millionen Amerikaner für Romney und Obama stimmen. Das Lager der NichtwählerInnen ist nach einer Umfrage der USA Today mit rund 90 Millionen wesentlich größer. Viele von ihnen geben an, nicht zu wählen, weil sie enttäuscht von den Kandidaten und der beiden Parteien sind.
Wenn es den Grünen gelingt, vor allem NichtwählerInnen zu mobilisieren, schwächt das nicht die Demokraten, sondern stärkt progressive Politik insgesamt. Ihr Wahlkampf und ein gutes Abschneiden sollen dabei helfen, neue Themen in die politische Debatte zu bringen, die Defizite in Sachen Demokratie des derzeitigen Wahlsystems offenzulegen und die Strukturen der US Green Party weiter zu professionalisieren. Alles dicke Bretter, an denen jetzt gebohrt werden muss.
Was aber, wenn es in den Umfragen Spitz auf Knopf steht und die Grünen das Zünglein an der Waage in einem der swing states wären? Was, wenn Obamas Wiederwahl wegen der grünen Kandidatur gefährdet wäre, weil vielleicht doch manche seiner Anhänger grün wählen wollen? In diesem (noch) unwahrscheinlichen Fall läge es nicht nur an den Grünen, die Lage abzuwägen, ob sie ohne Aussicht auf eigenen Sieg Mitt Romney ins Weiße Haus befördern wollen. Nein, der Ball läge dann auch im Feld der Demokraten, mit den Grünen genau um diese WählerInnen zu konkurrieren, diesen Interessen für eine gerechtere und ökologischere Politik ein Angebot zu machen. Und mit der grünen Kandidatin zu sprechen, unter welche Zugeständnissen sie bereit wäre, ihren Anhängern die Wahl von Obama zu empfehlen.
Ich bin optimistisch, dass Barack Obama gegen Mitt Romney gewinnt. Gleichzeitig wünsche ich mir, dass Jill Stein und die Green Party im November ein gutes Ergebnis einfährt. Ihre Kandidatur stellt keine Gefahr für Barack Obama dar. Jede Stimme für die Jill Stein ist eine Stimme für grüne Ideen, für die Demokratie und für progressive Politik in den USA. Wer sie kennenlernen möchte, hat am Mittwoch, den 19. September dazu Gelegenheit: Sie wird mit europäischen Grünen (z.B. Reinhard Bütikofer, Jan Philipp Albrecht, Claude Turmes u.a.) einen US-EU Green Summit bestreiten. Den kann man sich hier anschauen.
Foto von ra_hurd unter CCL.
Der Denkfehler liegt in der Annahme, dass die Leute, die gruen Waehlen eigentlich mehrheitlich verirrte demokratische Waehler sind. Das scheint- wie die Umfrage zeigt- falsch zu sein. Es sind mehr Leute darunter, die gar nicht waehlen oder dann eben doch republikanisch. Ob das nur fuer Florida gilt (wo die Umfrage durchgefuehrt wurde) oder auf das ganze Land uebertragen werden kann, darueber laesst sich sicher streiten, es gibt m.W. dazu keine verlaessichen Daten - fuer keine der beiden Thesen.